Einmal Struktur, bitte!

Einmal Struktur, bitte!

Einmal Struktur, bitte!

Hallo Struktur, wie finde ich dich?

Der Lockdown hat es sichtbar gemacht: das leidige Thema Struktur und wie wir sie in den Alltag übersetzen können.

Aber: Ich werde nicht darüber schreiben, wie ihr eurem Alltag in kleinen Schritten mehr Struktur verleiht – das Internet ist voll mit Texten und Floskeln dazu! Und ich kann sie, ehrlich gesagt, nicht mehr hören. Denn diese Anleitungen haben einen ganz entscheidenden Fehler, auf den ich jetzt zu sprechen komme.

Eine Kernaussage ist und bleibt: Disziplin. Wir müssen einfach lange genug durchhalten und die alte (und schlechte) Gewohnheit ersetzen. Über einen bestimmten Zeitraum hinweg müssen wir immer wieder üben, bis sich das Neue fest in uns verankert hat. Dann ist es zur Gewohnheit geworden und wir können gar nicht mehr anders, als die neue – bessere – Gewohnheit dauerhaft in unser Leben zu integrieren.

Da stellt sich dann allerdings auch die Gegenfrage: Warum ist es wissenschaftlich bewiesen, dass neun von zehn Diäten dauerhaft scheitern? Warum entrümpeln Menschen ihr Haus und gefühlte vier Wochen später herrscht wieder Chaos in allen Ecken? Warum nehmen wir uns vor, so perfekt zu werden wie die ganzen Instagram-Damen, und geben dann doch wieder auf… selbst wenn wir am Anfang superdiszipliniert waren?

Die Lösung: Wir sollen uns große Ziele setzen, sie anschließend herunterbrechen und uns jeweils Teilerfolge vor Augen führen. Also zum Beispiel als großes Ziel: Ich möchte jeden Morgen um 5.30 Uhr aufstehen. Derzeit schaffe ich es allerdings nicht vor 6.30 Uhr. So sage ich mir also zunächst: In sieben Tagen stehe ich immer um 6.15 Uhr auf, weitere sieben Tage dann um 6 Uhr, bis ich dann schließlich in vier Wochen bei 5.30 Uhr angelangt bin.

Klingt logisch und ist sinnvoll.

Anderes Beispiel: Ich möchte, dass meine Wohnung/mein Haus ordentlicher aussieht. Also erstelle mir einen genauen Putzplan, arbeite mich Stück für Stück voran und erreiche so mein Ziel.

Wir könnten das nun endlos weiterführen und vertiefen. Allerdings bleibt die Frage: Warum gibt es prozentual mehr als genügend Menschen, die doch nicht so erfolgreich sind, die keine perfekt aufgeräumten Wohnungen haben, kein perfektes Gewicht, die nicht ihre Träume leben undsoweiter.

Gehen wir auf Spurensuche. Dazu ein kleines Beispiel aus meinem Leben: Ich glaubte viele Jahre, ich müsse Sport lieben. Schließlich machen die meisten Menschen Sport, also müsse ich das auch tun. Ich quälte mich von Fitnessstudio zu Fitnessstudio, meldete mich immer wieder an (und ab und an), gab aber letztlich doch auf. Eigentlich hatte ich gedacht: „Irgendwann MUSS es doch mal Klick machen und ich werde die Liebe zum Sport entdecken.“ Aber was genau war und ist das Problem, das hinter dieser Betrachtungsweise steckt?

Ein anderes simples Beispiel: Ich bin ein sehr ordentlicher Mensch. In meiner Ordnung finde ich sehr leicht Struktur. Jeder Gegenstand hat seinen Platz und ich habe ein genaues System entwickelt, um meinen Wohnraum und auch meine Geschäftsräume relativ schnell sauber und ordentlich zu halten. Immer, wenn Freunde zu uns kommen, sind sie völlig erstaunt über meine Struktur und die perfekt aufgeräumte und dekorierte Wohnung. Ich werde oft gefragt, wie ich das mache – aber die eine wirklich zufriedenstellende Antwort habe ich nicht gefunden.

Noch ein Beispiel: Eine meiner Freundinnen ernährt sich wirklich perfekt: kein Gluten, kein Zucker, nichts dergleichen. Mir persönlich wird ja schon beim Zuhören schwindelig und ich habe mich oft gefragt: Wie kann sie über all die Jahre so viel Disziplin aufbringen? Und anderen dabei noch das Gefühl vermitteln, dass ihr das alles gefällt? Überhaupt – auf wundersame Weise schaffen es manche Menschen, so viele Dinge zu erledigen und abzuarbeiten, dass ich mich absolut schlecht fühle, weil ich mich oft von Instagram und anderen sozialen Medien ablenken lasse. Die anderen aber scheinen fokussiert zu sein und erreichen mehr als andere Menschen.

Worin also liegt der Schlüssel? Und wie, verdammt nochmal, kann ich das auch alles schaffen?

Ich gebe zu: Meine Sichtweise war viele Jahre lang falsch, so dass ich mir heute immer wieder an den Kopf fasse (weil ich so lange brauchte, um eine Erkenntnis zu gewinnen, die so einfach ist).

Die eigentliche Frage, die wir uns stellen sollten, ist: Warum will ich das eigentlich? Am Beispiel Sport gefragt: Warum will ich eigentlich Sport machen? Was ist mein Antrieb? Will ich es einfach nur, weil alle anderen es wollen? Weil es sich cool anhört, zu sagen: „Ich komme gerade vom Gym“?

Da sind wir dann auch schon mitten im Kern der Frage. Hinter dem „Warum“ stecken so viele andere Fragen, so viele Facetten: Will ich das wirklich? Was spüre ich dabei? Was ist mein Antrieb? Habe ich wirklich – wirklich – Freude daran? Welche Vorteile bietet es mir, wenn ich zum Sport gehe? Sehe ich die Vorteile wirklich selbst oder drückt mir meine Umgebung all das nur auf, um mir ihre Überzeugungen als meine zu verkaufen?

Genau hier liegt das Problem: Oft habe ich den Eindruck, dass viele Menschen sich überhaupt nicht mehr spüren. Sie spüren und fühlen gar nicht mehr, worauf im Leben sie wirklich Lust haben und was ihnen aus tiefstem Herzen Freude bereitet.

Wann genau hast du das letzte Mal tief in dich hineingehört und dich gefragt: „Will ich das jetzt wirklich? Oder will ich es, weil die Gesellschaft es von mir erwartet?“

Ich glaube, wir sollten vor allem eines tun: uns aktiv mit uns selbst auseinandersetzen. In uns hineinhören und uns immer wieder die Frage stellen: „Was genau macht mich glücklich?“ Dahinter liegen weitere Fragen: Woraus ziehe ich meine Energie? In welchen Augenblicken spüre ich große Zufriedenheit und tiefe Dankbarkeit? In welchen Situationen fühle ich mich wirklich wohl? Welche Idee, welche Grundüberzeugungen habe ich für mein Leben?

Vermutlich stellen sich die meisten diese Fragen nicht, vielleicht sind sie ihnen nicht einmal bewusst.  Doch genau hier kommen wir zum Kern meiner Botschaft: Niemals können wir über einen längeren Zeitraum etwas aushalten oder erreichen, wenn das Gefühl nicht da ist, dass diese Überzeugungen aus tiefstem Herzen stammen. Dann sehen wir keinen wirklichen Grund, warum sich unser Leben verbessern sollte. Das Fazit ist simpel: Wenn unser Herz nicht dabei ist, haben wir keine wirkliche Freude an der Durchführung und stattdessen das Gefühl, dass das Ganze eine Last ist. Und selbst wenn wir die magische Grenze überschreiten, uns an gewisse Rituale halten und sie sogar auch verankern: Wenn unser Herz und unsere Überzeugung nicht komplett dabei sind, werden wir über kurz oder lang aufgeben und in unsere alten Muster zurückverfallen. Und dabei werden wir uns schlecht fühlen, weil wir überzeugt davon sind, dass wir dies und jenes (Sport/Ordnung/Ernährung/ was auch immer) erreichen müssten, um uns besser zu fühlen. Und am Ende hängen wir in einer Spirale fest, aus der wir nicht mehr herausfinden. Und der Druck lastet zunehmend schwerer auf uns.

Bevor Sie sich also etliche unerreichbare Ziele im Leben setzen, fragen Sie sich immer: „Will ich das wirklich? Oder habe ich das Gefühl, die Gesellschaft erwartet es von mir?“

Ich bin noch nicht am Ende meiner Reise angekommen. Aber ich weiß, dass innere Zufriedenheit nur dann da sein wird, wenn ich nicht ständig gegen meine innere Intuition lebe. Wir haben einen Gedanken, ein Gefühl, schiebt es aber wieder weg, weil wir zu glauben meine, dass es gerade nicht passt. Aber: Meistens ist das falsch. Wenn ich auf mein Leben und auf gefällte (oder auch auf nicht gefällte) Entscheidungen schaue, so haben sich vor allem die, die ich bewusst und mit ganzem Herzen aus der Intuition heraus getroffen habe, als richtig erwiesen.

Mein ganz persönliches Fazit: Wir müssen nichts. Einfach GAR nichts. Unsere hochgelobte und ach so differenzierte Welt ist leider doch ganz grundsätzlich auf Gleichschaltung gepolt. Es ist gerade schick, ketogen zu leben? Sugarfree? Oder am besten auch noch ohne Milchprodukte? Ja, toll! Und zwar genau für die Leute, die wirklich Lust und Spaß daran haben. Aber will ICH das wirklich? Habe ich wirklich Lust darauf? Erfüllt es mich?

Schluss mit der Informationsflut ohne Ende, die uns allzu oft nur verunsichert. Und stattdessen zurück zum guten alten Bauchgefühl – auch wenn es ab und an bedeutet, dass die Wohnung im Chaos versinkt, dass wir einen Schokoriegel oder auch eine ganze Tafel Schokolade futtern und dass wir kein perfektes Strahlen im Gesicht tragen, wo wir es doch eigentlich mit einem „Dry January“ versucht hatten…

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